Wofür hat der Arbeitnehmer zu haften

Dem Arbeitnehmer passiert ein Missgeschick und ein grober Fehler, wegen dem ein beträchtlicher Schaden entsteht. Schnell drückt sich die Frage auf, wer für diesen Schaden haften soll. Wer zahlt? Arbeitgeber oder Arbeitnehmer? Das Gesetz ist in diesem Zusammenhang nicht eindeutig!

In diesem Beitrag beleuchten wir diese Haftungssituation des Arbeitnehmers genauer. Denn nach der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1994, muss der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber nicht uneingeschränkt haften. Dieser Beitrag verschafft einen Überblick über die rechtlichen Voraussetzungen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Haftung im Arbeitsverhältnis – Eine besondere Situation
  2. Voraussetzung der beschränkten Haftung des Arbeitnehmers
  3. Haftungsprivileg – Der Einzelfall entscheidet
  4. Bemessung der Höhe der Haftung
  5. Fazit
  1. Haftung im Arbeitsverhältnis – Eine besondere Situation

Wie in jedem vertraglichen Schuldverhältnis, hat auch der Arbeitnehmer Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Da das Arbeitsrecht in diesem Zusammenhang keine besonderen gesetzlichen Regelungen vorsieht, wird auf den allgemeinen § 276 BGB zurückgegriffen.

Praxisbeispiel:

Ein Arbeitnehmer ist als Kraftfahrer bei einer Möbelspedition beschäftigt und arbeitet seit Jahren zuverlässig und rücksichtsvoll. Einen Unfall hat er noch nie gebaut. Bei einer Nachtfahrt auf einer gut ausgeleuchteten Straße beobachtet der Beschäftigte den Gegenverkehr und ist kurzzeitig abgelenkt. Dadurch entgeht ihm eine Ölspur auf der Fahrbahn. Das Firmenauto gerät ins Schleudern und es entsteht ein Schaden von 15.000 EUR.

Hier könnte man nun annehmen, dass ein sorgfältiger Autofahrer nicht nur den Gegenverkehr, sondern auch die Fahrbahnbeschaffenheit im Auge haben sollte. Denn immerhin hätte der Kraftfahrer die Ölspur auf der relativ gut beleuchteten Fahrbahn erkennen und rechtzeitig ausweichen können. Mit juristisch geschärften Blick ließe sich also hier durchaus argumentieren, dass der Beschäftigte fahrlässig gehandelt hat. Er hätte damit dem Arbeitgeber den Schaden von 15.000 EUR zu ersetzen.

Die besondere Situation des Arbeitsverhältnisses macht jedoch eine gewisse Anpassung der allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze erforderlich. Unter den Juristen besteht Einigkeit darüber, dass eine uneingeschränkte Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber nicht sachgerecht wäre. Denn auch bei einem äußerst sorgfältigen Arbeitnehmer können Schäden entstehen, die in keinem Verhältnis zu dem erzielten Lohn stehen.

Es liegt auf der Hand, dass die volle, umfängliche Haftung des Arbeitnehmers eine Existenzgefährdung zur Folge haben könnte. Außerdem ist dem Arbeitnehmer zu Gute zu halten, dass er fremdbestimmte und weisungsgebundene Arbeit verrichtet. Er hat in der Regel weder Einfluss auf die Wahl der Arbeitsmittel noch auf Betriebsorganisation. Dem Arbeitgeber gebührt schließlich auch der wirtschaftliche Erfolg der Arbeitnehmertätigkeit. Er kann das Schadensrisiko grundsätzlich besser einschätzen und gegebenenfalls durch den Abschluss von Versicherungen eindämmen.

 

2. Voraussetzung der beschränkten Haftung des Arbeitnehmers

Um eine angemessene Begrenzung der Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber zu ermöglichen, wurden im Laufe der Zeit unterschiedliche Kriterien von der Rechtsprechung entwickelt, verworfen und erneuert. Mittlerweile ist für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung erforderlich und ausreichend, dass eine betrieblich veranlasste Tätigkeit des Arbeitnehmers vorliegt. Erforderlich ist also, dass der Schaden auf einer Tätigkeit beruht, die dem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich übertragen worden ist oder die zumindest im betrieblichen Interesse liegt.

PRAXISTIPP  In den Genuss der beschränkten Arbeitnehmerhaftung kommen nicht nur Arbeitnehmer im sogenannten „statusrechtlichen“ Sinne, sondern auch Auszubildende oder Leiharbeiter. Ob dieses Privileg auch leitenden Angestellten zu Teil wird, wird in der juristischen Fachliteratur nicht einheitlich beantwortet, aber vom Großteil angenommen.

 

3. Haftungsprivileg – Der Einzelfall entscheidet!

In Bezug auf die Haftung des Arbeitnehmers für Schäden, die in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit verursacht worden sind, gilt abhängig vom Verschuldensgrad und ohne starre Höchstgrenzen folgende Aufteilung:

  • Vorsatz des Arbeitnehmers

Handelt der Arbeitnehmer vorsätzlich, möchte er den Arbeitgeber also gezielt schädigen, so muss er auch unbegrenzt für den entstehenden Schaden haften. Eine Schadensaufteilung im Verhältnis zum Arbeitgeber ist gänzlich ausgeschlossen.

  • Grobe Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers

In Situationen, in denen der Arbeitnehmer missachtet, was jedem vernünftigen Menschen auffallen würde, haftet der Beschäftigte grundsätzlich auch unbeschränkt. Grob fahrlässig handelt wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich hohen Grade verletzt und dasjenige außer Acht lässt, was jedem anderen in der konkreten Situation hätte einleuchten müssen.

  • Normale (mittlere Fahrlässigkeit) des Arbeitnehmers

Bei normaler Fahrlässigkeit soll es nach der Rechtsprechung zu einer Schadensteilung kommen. Für den Umfang der Arbeitnehmerhaftung sind dann die Einzelfallumstände entscheidend.

  • Geringe Schuld

Wenn dem Beschäftigten nur ein leichter Fahrlässigkeitsverstoß vorgeworfen werden kann, ist die Haftung ausgeschlossen. Leichteste Fahrlässigkeit liegt etwa dann vor, wenn der Schaden auf einem für die Tätigkeit typischen Versehen beruht. Zu nennen sind beispielsweise Fälle des einfachen „Sich-Vertuns“.

PRAXISTIPP  Kommt es über die Haftung zum Streit, so berücksichtigen die Arbeitsgerichte auch die persönliche Situation des Arbeitnehmers! Steht also der Verdienst des Arbeitnehmers in einem unerträglichen Missverhältnis zum Schadensrisiko der Tätigkeit, kann es zu Abweichungen zum obigen Schema kommen.

 

4. Bemessung der Höhe der Haftung

Die im jeweiligen Einzelfall bei der Bemessung der Höhe der Haftung des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Indizien sind:

  • Verhalten des Beschäftigten in der Vergangenheit
  • Art und Schwierigkeit der Tätigkeit
  • Risikoträchtigkeit und Gefährlichkeit der Arbeit
  • Schadensrisiko
  • Berufserfahrung
  • Mitverschulden des Arbeitgebers

Die Arbeitsgerichte werfen auch einen Blick auf die Versicherbarkeit des Schadensrisikos. Prinzipiell kann hier davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber zwar nicht verpflichtet ist, eine Versicherung abzuschließen. Schließt er aber eine zumutbare Versicherung nicht ab, so wird der Arbeitgeber behandelt, als ob er eine solche Versicherung abgeschlossen hätte! Für den Arbeitnehmer bedeutet das, dass die Haftung auf die (fiktive) übliche und angemessene Selbstbeteiligung beschränkt ist.

Zurück zum Praxisbeispiel:

Mit Blick auf das obige Praxisbeispiel kann man wohl nicht sagen, dass der Kraftfahrer beim Übersehen der Ölspur grob fahrlässig gehandelt hat. Im Hinblick auf die Rahmenbedingungen ist nur leichteste Fahrlässigkeit anzunehmen. Denn wegen der Nachtzeit und dem Gegenverkehr, ist das Übersehen der Ölspur durchaus als „geringe Schuld“ einzustufen.

 

5. Fazit

Die Haftung des Arbeitnehmers stellt den Arbeitsalltag vor Herausforderungen. Nicht umsonst handelt es sich hierbei um einen praxisrelevanten „Klassiker“ im Arbeitsrecht. Da die gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich wenig aufschlussreich sind, ist hier exakte Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung erforderlich.

Wenn Ihnen als Arbeitnehmer ein Fehler bei der Arbeit unterlaufen ist, der zu einem Schaden beim Arbeitgeber geführt hat, sollten Sie umgehend anwaltlichen Rat hinzuziehen. Eine genaue Analyse der Einzelfallumstände zeigt meistens, dass eine Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers nach obigen Grundsätzen in Frage kommt.

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